Verstehen. Und dann?
Allein mit Verstehen werden allerdings selten Probleme gelöst, Krisen bewältigt.
Welche Konsequenzen hat nun dieses Verstehen für mein pädagogisches Handeln? Was folgt daraus?
Verhalten und seine Hintergründe und Zusammenhänge zu verstehen, eröffnet mir Zugänge zum betroffenen Kind oder Jugendlichen und zu seinem Verhalten und damit uns beiden die Möglichkeit, nach Wegen der Veränderung zu suchen.
Wenn sich zum Beispiel herauskristallisiert, dass dem "herausfordernden Verhalten" ein im wahrsten Sinne des Wortes "Nicht-Verstanden-Werden" zugrunde liegt, kann die Konsequenz sein, nach alternativen Möglichkeiten der Kommunikation zu suchen.
Hält jemand eine Situation einfach nicht aus, weil ihm Zeitbegriffe fehlen und er nicht weiß, wie lange diese noch anhält, hilft vielleicht schon ein Verdeutlichen mittels eines Time-Timers.
Viel größer sind jedoch die Möglichkeiten, welche sich aus dem Verstehen und Angenommensein heraus ergeben. Ein Kind, welches sich mit seinen Möglichkeiten und Grenzen, mit seinen Problemen und seinem Verhalten angenommen weiß, kann aus dieser Sicherheit heraus neue Möglichkeiten ausprobieren, sich auf Neues einlassen. Aus dem grundsätzlichen Annehmen heraus können problematische Verhaltensweisen gespiegelt und Konsequenzen aufgezeigt werden. Gemeinsam kann nach Alternativen gesucht werden. Ausgehend von der Annahme, dass jedes Verhalten einen für den Betreffenden positiven Zweck verfolgt, kann nach Möglichkeiten gesucht werden, wie dieser auf andere Art und Weise erreicht wird. Aus der Sicherheit, grundsätzlich bejaht und angenommen zu sein, kann ich von dem Kind oder Jugendlichen als eine Art "moralische Instanz", als Vorbild gesehen werden. Es interessiert sich plötzlich dafür, warum ich wie handle und orientiert sich daran. So freue ich mich über die einfache Situation, wenn das von mir begleitete Kind mich fragt, warum ich mein Papier nicht einfach auf die Straße werfe und seines dann plötzlich aufhebt und zum Papierkorb bringt. Eine Korrektur des Verhaltens ist plötzlich gar nicht notwendig!
Ziel der Begleitung ist daher, dem Kind oder dem Jugendlichen sein Verhalten bewusstzumachen, Konsequenzen aufzuzeigen, es zu ermutigen Neues auszuprobieren, aber auch Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Dabei ist immer zu reflektieren, ob sich der Betreffende überhaupt anders verhalten kann, ob die Voraussetzungen und Möglichkeiten gegeben sind und ob ich ausreichend Halt und Sicherheit gewährleisten kann.
Dies trifft besonders dann zu, wenn jemand zusätzliche Entwicklungsrückstände in seiner emotionalen Entwicklung hat. Dies begegnete mir in meiner Tätigkeit sehr häufig. In diesem Fall ist es besonders wichtig genau zu analysieren, an welcher Stelle der Entwicklung sich das Kind befindet und daraus ableitend die Beziehung entwicklungsfreundlich zu gestalten. Dafür eignet sich das Konzept von Barbara Senckel. Einfach ausgedrückt: Man käme sicherlich nicht auf die Idee, ein verzweifelt schreiendes 3jähriges Kind in sein Zimmer zu schicken mit dem Kommentar "Wenn du dich beruhigt hast, kannst du wieder herauskommen". Vielmehr würde man es in den Arm nehmen, beruhigen, Verständnis haben. Und dies alles aus dem intuitiven Wissen heraus, dass dieses Kind sein aktuelles Problem nur in der Einheit mit seiner Bezugsperson, aus dieser Sicherheit heraus, bewältigen kann. Zeigt ein 12jähriges Kind ein ähnliches Verhalten. ist dieses eventuell aus der Kenntnis seines Entwicklungsstandes zu verstehen. Dies gibt mir dann die Möglichkeit, auch ihm entsprechend seiner Möglichkeiten zu begegnen.
Letztendlich geht es also darum, gerade bei der pädagogisch notwendigen Beeinflussung von Verhalten eines Anderen nicht "gegen den Fehler", nicht ausschließlich gegen ein problematisches Verhalten, sondern viel mehr "für das Fehlende" (PAUL MOOR) zu sorgen